Kubakrise? Viel schlimmer.

Für „Internationale Politik und Gesellschaft“ (IPG) der Friedrich-Ebert-Stiftung (FES) habe ich die Paralleln und Unterschiede der aktuellen Krise zwischen Russland und der NATO und der Kubakrise 1962 analysiert.

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Kubakrise 1962: Die vermutete Reichweite der sowjetischen Atomraketen auf Kuba

Der russische Präsident Wladimir Putin hat den Westen in der vergangenen Woche mit seiner Ankündigung geschockt, Russland würde noch in diesem Jahr 40 moderne Interkontinental-Raketen anschaffen, die mit nuklearen Sprengköpfen bestückt werden könnten. Nach Daten des „Stockholm International Peace Research Institute“ (SIPRI) würde dieser Schritt das russische Nuklearwaffenarsenal auf 1820 einsatzfähige Atomwaffen erweitern. In einer ersten Reaktion sprach NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg von einem „nuklearen Säbelrasseln Russlands„, das „ungerechtfertigt, destabilisierend und gefährlich“ sei. Er kündigte eine Antwort des westlichen Militärbündnisses an.

Lettlands Außenminister Edgars Rinkēvičs hat die Eskalationsdynamik der anhaltenden Krise zwischen Russland und der NATO vor diesem Hintergrund mit der Kubakrise von 1962 verglichen. Er hat völlig Recht. Doch zugleich übersieht er die zentrale Lehre aus dieser Krise. Die nämlich lautet: Missverständnisse über außenpolitische Absichten können in einer nuklearen Katastrophe enden.

Auch zwischen Russland und den USA und der NATO bestehen heute fundamentale sicherheitspolitische Missverständnisse. Sie können die aktuelle Eskalation mit Russland durchaus erklären – ohne, und das ist wichtig, den eklatanten Völkerrechtsbruch Russlands in der Ukraine zu entschuldigen.

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‘‘If you compress the spring, it will snap back hard’’: The Ukrainian crisis and the balance of threat theory

Bock, Henneberg, Plank 2014 - ‘‘If you compress thespring, it will snap backhard’’. The Ukrainian crisis and the balance of threat theory (PrintVersion)

In einem referierten Beitrag für das International Journal. Canada’s Journal of Global Policy Analysis“ habe ich zusammen mit Ingo Henneberg und Friedrich Plank die Eskalationsdynamik der Ukraine-Krise mithilfe der Balance of Threat„-Theorie von Stephen M. Walt analysiert.

Abstract: The narrative of an aggressive and neo-imperialist Russia that has dominated analyses of the 2014 Ukrainian crisis lacks theoretical rigour. We argue that a sustainable transformation of the Ukrainian crisis requires an accurate analysis of the context of the conflict, which should include an understanding of Moscow’s perception of the threats to its interests. This policy brief develops a theoretical understanding of the Ukrainian crisis through the lens of Stephen M. Walt’s balance of threat theory. We conclude that a realist analysis will help to explain Russian actions.

Keywords: Ukraine, Ukrainian crisis, Crimean crisis, balancing behaviour, balance of threat, threat perception

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Balancing for (In)Security: An Analysis of the Iranian Nuclear Crisis in the Light of the Cuban Missile Crisis

Titel

„Balancing for (In)Security“, in: PERCEPTIONS, Summer 2014, Volume XIX, Number 2, pp. 113-138

In einem referierten Beitrag für „Perceptions. Journal of International Affairs“ habe ich im Rahmen einer komperativen Studie die Dynamiken der Balancing-Strategien, die in der Kubakrise zum Einsatz kamen, mit denen des Atomstreits mit Iran verglichen.

Abstract: Israel and the US are currently balancing against Iran because both perceive a nuclear-armed Iran as a threat to regional and world security. But does balancing really work? Does it reduce threat and provide security? I will use Stephan M. Walt’s “Balance of Threat” theory to address these questions. In addition to Walt’s theory, I assume that perceiving a state’s intentions as aggressive is decisive for that state being (perceived as) a threat. I hypothesise that balancing fails and likely backfires in that it exacerbates the security dilemma and reinforces the threat perceived by the balancing states (Israel und the US). The use of balancing strategies in the current Iranian nuclear crisis would be futile and, if anything, would only strengthen the belief in Tehran that Iranian nuclear weapons are a necessary means of deterrence and self-defence.

KeywordsCuban missile crisis, “balance of threat”-theory, balancing, perception and misperception, Iranin nuclear crisis, Stephen M. Walt

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„Nur Drohgebärden? NATO und Russland rüsten auf“

Die Ukraine-Krise erreicht ihre nächste Eskalationsstufe: Russland hält Manöver an der estnischen Grenze ab und die NATO verstärkt ihre Truppen im Baltikum. Auch Schweden und Finnland – eigentlich bündnisfrei – erhöhen ihre Kooperation mit der NATO.

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Phonix-Runde: „Nur Drohgebärden? NATO und Russland rüsten auf“

Auf Einladung von Phonix habe ich – zusammen mit Harald Kujat (Generalinspekteur a.D., ehem. Vorsitzender des NATO-Militärausschusses), Sylke Tempel (Chefredakteurin „Internationale Politik“) und Jacek Lepiarz (Polnische Nachrichtenagentur) – die aktuelle Gefahrenlage der Ukraine-Krise diskutiert: Wie weit geht Putin? Wie reagiert der Westen? Wie kann eine Deeskalation herbeigeführt werden? Und: Droht aus dem Krieg in der Ukraine ein Krieg um die Ukraine zu werden?

Hier geht es zum gesamten Fernsehinterview.

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Gastbeitrag für „Zeit Online“ zur Ukraine-Krise

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„Subjektiv ist Russland bedroht“ – Gastbeitrag für „Zeit Online“

In einem Gastbeitrag für „Zeit Online“ habe ich die Eskalationsdynamik der Ukraine-Krise analysiert.

Auslöser für meine Analyse der Wahrnehmung Moskaus war die Veröffentlichung der neuen russischen Militärdoktrin, in der die NATO als größte Bedrohungen der nationalen Sicherheit genannt wird. Ist sie ein erneuter Beweis russischer Aggressivität?

Hier geht es zum Beitrag „Subjektiv ist Russland bedroht

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Folter – „Der erste Schritt ist entscheidend“

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Fernsehinterview mit dem schweizer Nachrichtenmagazin „10 vor 10“

Nach der Veröffentlichung des Berichts des US-Senats über die Foltermethoden der CIA hat mich das Schweizer Fernsehen um meine Analyse und Einschätzung gebeten.

Folter bringt nichts“, sagt Andreas Bock, Professor für Politikwissenschaft an der Akkon-Hochschule in Berlin, der Nachrichtensendung „10 vor 10″. Denn der Gefolterte erzähle das, was er glaube, dass der Folterer hören wolle. „Es ist ein Instrument der Unterdrückung, um die Opposition zu zerbrechen, aber nicht, um Informationen zu generieren.“ Dies habe auch die US-Armee wiederholt dokumentiert. Deshalb kommt für ihn die Tatsache, dass die Foltermethoden der CIA keine relevanten Informationen zutage gefördert haben, nicht überraschend.

Auch dass der US-Geheimdienst härtere Foltermethoden angewandt hatte als bisher bekannt, überrascht den Experten für Konfliktforschung nicht, denn „wenn ich eine Praxis erlaube, ist es keine große Hürde mehr, diese Praxis zu verschärfen.“ Wenn das Folterverbot kippe, würden in der Praxis Tür und Tor geöffnet für eine immer weitergehende Auslegung dieser Erlaubnis.

Hier geht es zum gesamten Fernsehinterview.

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Neuerscheinung! Strukturierte Konfliktanalysen zum Streit um das iranische Atomprogramm

Iran, die Bombe und das Streben nach Sicherheit Strukturierte Konfliktanalysen

Iran, die Bombe und das Streben nach Sicherheit. Strukturierte Konfliktanalysen Herausgegeben von Prof. Dr. Andreas M. Bock und Ingo Henneberg

Iran, die Bombe und das Streben nach Sicherheit. Strukturierte Konfliktanalysen
Herausgegeben von Prof. Dr. Andreas M. Bock und Ingo Henneberg, NOMOS Verlag, Baden-Baden 2014

Der Band führt in die strukturierte Konfliktanalyse als Werkzeug sozialwissenschaftlicher Forschung ein und nutzt dieses Instrument beispielhaft, um die verschiedenen, innen- wie außenpolitisch mit Iran verbundenen Konflikte jenseits populärer Stereotypen (wie der „Bombe„) auf breiter Grundlage systematisch zu analysieren und kontrovers zu diskutieren.

Die einzelnen Beiträge zeichnen ein differenziertes Bild der Konflikte mit und in Iran und reflektieren die verschiedenen Aspekte dieser Konflikte aus unterschiedlichen Perspektiven und auf hohem methodisch-theoretischem Niveau. Das Atomprogramm
wird dabei unter Anderem durch die Brille der vier Großtheorien der Internationalen
Beziehungen untersucht. Daneben beschäftigen sich die Analysen mit der regionalen
Sicherheitsdimension, der Beziehung USA–Iran, der Rolle einzelstaatlicher Präferenzen
sowie mit der Wirkung innerstaatlicher Prozesse auf die iranische Außenpolitik.

Die Herausgeber:

Prof. Dr. Andreas Bock ist Professor für Politikwissenschaft mit Schwerpunkt Internationale Not- und Katastrophenhilfe an der Akkon-Hochschule für Humanwissenschaften Berlin.

Ingo Henneberg, M.A., ist Wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Professur für Governance
in Mehrebenensystemen an der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg.

Mit Beiträgen von:

Payam Ghalehdar, Katharina Götsch, Laleh Gomari-Luksch, Mischa Hansel, Ingo Henneberg, Lukas Kasten, Mirijam Koch, Simon Koschut, Hubert Mayer, Witold Mucha,
Michael Nann, Antje Nötzold, Friedrich Plank, Eva Mareike Schmitt, Miriam Shabafrouz,
David Summe, Till Florian Tömmel, Christoph Weller, Judith Wiesinger und Azadeh Zamirirad.

Iran, die Bombe und das Streben nach Sicherheit. Strukturierte Konfliktanalysen – Bestellen

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Too Blind to See the Threat We Pose to Russia…

EUFAJ

„Too Blind to See the Threat We Pose to Russia”

Wie lässt sich die aktuelle Eskalationsdynamik der Ukraine-Krise erklären? Mit Russlands Aggression? In meiner Analyse biete ich eine alternative und zugleich innovative Erklärung für Putins Politik, die im „European Union Foreign Affairs Journal“ (EUFAJ) erschienen ist: Mit Hilfe des psychologischen Phänomens der Unaufmerksamkeitsblindheit (was in dieser Form ein Novum im Bereich der Analyse der Internationalen Beziehungen darstellt), argumentiere ich, dass die USA und Europa buchstäblich blind für die Folgen der NATO-Osterweiterung auf Russlands Sicherheitsbedürfnis waren – und es bis heute sind.

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OFFENER BRIEF VON DEUTSCHEN NAHOST-EXPERTEN ZUR GAZA-KRISE

An:
Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel
Bundesminister des Auswärtigen Dr. Frank-Walter Steinmeier
Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung Dr. Gerd Müller
Bundesminister für Wirtschaft und Energie Sigmar Gabriel
Bundesministerin der Verteidigung Dr. Ursula von der Leyen
Die außenpolitischen Sprecher der Fraktionen und Ausschuss für Auswärtige Angelegenheiten
Die verteidigungspolitischen Sprecher der Fraktionen und verteidigungspolitischer Ausschuss
Die entwicklungspolitischen Sprecher der Fraktionen und Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung
Die wirtschaftspolitischen Sprecher der Fraktionen und Ausschuss für Wirtschaft und Energie

Dauerhaften Waffenstillstand erzielen, Blockade beenden –
Entwicklungsperspektiven für Gaza, Westjordanland und Ostjerusalem schaffen

Wir, deutsche Nahostexpertinnen und -experten, beschäftigen uns professionell mit der Entwicklung in den besetzten palästinensischen Gebieten. Wir setzen uns im Bereich der Wissenschaft, Entwicklungszusammenarbeit, Demokratie-, Friedens- und Menschenrechtsarbeit vor Ort in den besetzten palästinensischen Gebieten und in Deutschland für die Schaffung eines unabhängigen, demokratischen Staates Palästina, der in Frieden mit Israel und seinen Nachbarn leben kann, ein.

Über einem Monat haben wir einem zerstörerischen Krieg zusehen müssen, der alle diese Anstrengungen zunichte macht und auf Monate, möglicherweise auf Jahre hinaus die Entwicklungsperspektive des Gazastreifens beeinträchtigt und Hoffnungen auf einen dauerhaften Frieden in Nahost schmälert. Wir verurteilen die Anwendung von Gewalt zur Durchsetzung politischer Ziele. Gewalt, die sich gegen Zivilisten richtet, ist weder von militanten palästinensischen Gruppen noch von Seiten Israels zulässig.

In diesem Konflikt sind wir vor allem besorgt um Zivilisten in Palästina wie in Israel und in großer Sorge um unsere Partner/innen, Kollegen/innen und Freund/innen im Gazastreifen. Sie erleben wie alle Zivilisten mit ihren Familien einen Albtraum in dem schmalen Küstenstreifen, dem sie nicht entfliehen können. Die militärischen Angriffe, denen 1,8 Millionen Menschen schutzlos ausgesetzt waren, hinterlassen tiefe Wunden und schwere Traumata mit unvorhersehbaren Langzeitfolgen. Nach Angaben der Vereinten Nationen wurde eine halbe Million Menschen während des Krieges intern vertrieben; fast 2.000 Menschen wurden getötet, mehr als 10.000 verletzt, über 15% der Wohnhäuser und 230 Schulen beschädigt, davon 25 vollständig zerstört; die bereits unzureichende Infrastruktur, Wasserversorgung, Kläranlagen, das einzige Elektrizitätswerk bei Luftangriffen teilweise zerstört. Die Kapazitäten für die medizinische und humanitäre Versorgung sind erschöpft, unter anderem weil auch mehrere Krankenhäuser und UN-Einrichtungen bei Angriffen stark beschädigt wurden.

Wir arbeiten und forschen zur Entwicklung in den besetzten palästinensischen Gebieten, die gemäß internationalem Recht die Gebiete Westjordanland, Ostjerusalem und Gaza umfassen. In den letzten Jahren ist der Austausch zwischen diesen Gebieten immer schwieriger geworden, die Reisefreiheit von Palästinenserinnen und Palästinensern wird massiv eingeschränkt bzw. fast völlig verhindert. Das betrifft auch die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und die palästinensischen Partnerorganisationen der vor Ort tätigen deutschen und internationalen Organisationen, deren Entwicklungsziele so kaum umgesetzt werden können.

Insbesondere der Gazastreifen steht seit 2007 unter einer völlig kontraproduktiven Blockade, welche die Menschen in eine fatale Hilfsökonomie ohne Entwicklungsperspektiven gedrängt hat. Im Jahr 2012 veröffentlichten die Vereinten Nationen einen Bericht mit dem Titel „Gaza in 2020“, der schlussfolgert, dass bei einer Fortsetzung der Blockadepolitik die Lebensgrundlagen für die rasch wachsende Bevölkerung von 1,8 Millionen Menschen bis dahin völlig zerstört sein werden.

Die destruktive Blockade des Gazastreifens zu See, Land und Luft muss aufgehoben werden. Dies kann unter internationaler Kontrolle geschehen, die gewährleistet, dass keine Waffen in den Gazastreifen gelangen, um so den legitimen Sicherheitsinteressen Israels gerecht zu werden. Die israelische Zivilbevölkerung hat ein Recht auf ein Leben ohne Angst. Das gilt ebenso für alle Palästinenserinnen und Palästinenser. Fast 2.000 Opfer, nach UN-Schätzungen rund 80% Zivilisten, von denen wiederum nach UNICEF-Angaben bis zu 30% Kinder sind, dürfen nicht mit dem Argument des Anti-Terrorkampfes oder des Rechts auf Selbstverteidigung hingenommen werden. Die überwiegend jungen Menschen im Gazastreifen (mehr als die Hälfte der Bevölkerung ist unter 18 Jahre alt) brauchen dringend Perspektiven für ihre Zukunft. Sie benötigen eine bessere Ausbildung, ein Ende der Isolation und eine Normalisierung und Stabilisierung der Wirtschaft im Gazastreifen. Das würde einen entscheidenden Beitrag für die Sicherheit der Bevölkerung auf beiden Seiten leisten, denn eine rein militärische Bekämpfung von bewaffneten Gruppen, die sich von Verzweiflung und Hoffnungslosigkeit nähren, wird aussichtslos bleiben und erreicht erfahrungsgemäß das genaue Gegenteil.

Die Verwirklichung der Zweistaatenlösung als beste Garantie für die Sicherheit Israels sowie Palästinas ist ebenso wie das Selbstbestimmungsrecht der Palästinenser erklärtes Ziel deutscher Außenpolitik. Um diese Perspektive zu erhalten, ist ein Ende der Siedlungspolitik im Westjordanland und in Ostjerusalem, eine Stärkung der palästinensischen Präsenz in Ost-Jerusalem sowie die Aufhebung der Gaza-Blockade notwendig. Die im Juni gebildete parteilose palästinensische Übergangsregierung, die auf einem Versöhnungsabkommen von Fatah und Hamas basiert und die so genannten „Quartettbedingungen“ akzeptiert hat, ist dafür der legitime Ansprechpartner und muss politisch gestärkt werden.

Die Hamas bleibt, ungeachtet der Aktivitäten ihres militärischen Flügels, eine populäre politische Partei. Der Dialog mit den politischen Vertretern der Hamas sollte deshalb nicht länger verweigert werden, die Bilanz der Isolationspolitik seit dem Wahlsieg 2006 ist ernüchternd. Ein solcher Dialog muss eine deutliche, direkte Kritik an der inakzeptablen Haltung der Hamas in Fragen der Menschen- und Frauenrechte sowie die Forderung nach Anerkennung Israels im Rahmen eines Friedensabkommens, das die Festlegung der Grenzen verbindlich regelt, einschließen. Voraussetzung ist, dass die Hamas wie z.B. nach dem letzten Krieg 2012 einen verhandelten, dauerhaften Waffenstillstand einhält und auf terroristische Mittel verzichtet. Nur durch eine politische Einbindung und eine nachhaltige Konfliktregelung wird sich langfristig auch die Demilitarisierung ihrer Milizen durchsetzen lassen.

Ohne Aufhebung der Blockadepolitik gibt es keinerlei Entwicklungsperspektive für die Menschen in Gaza und keine Chance für die Zweistaatenlösung. Die Arbeit der Entwicklungsorganisationen vor Ort, für die einige von uns tätig sind, kann ohne grundlegende Änderung des Status Quo bestenfalls auf eine kurzfristige Nothilfe beschränkt bleiben. Milliarden von Euro, die in Staatsaufbau oder Entwicklung fließen, sind fehlinvestiert, wenn sie in der aktuellen oder der nächsten dann unweigerlich folgenden Welle der Gewalt zerstört werden. Das schadet in erster Linie den Menschen vor Ort. Es ist aber auch ein fahrlässiger Einsatz von deutschen Steuermitteln und ein verfehlter Ansatz für die Entwicklungs- und Demokratiearbeit.

Wir bitten Sie

  • sich für die Erreichung eines nachhaltigen Waffenstillstandes einzusetzen, der das weitere Sterben von Zivilisten auf beiden Seiten verhindert und der massiv bedrohten, überwiegend jungen Zivilbevölkerung in Gaza dauerhaften Schutz bietet;
  • gegenüber Ägypten und Israel die Aufhebung der Blockade des Gazastreifens durchzusetzen, um eine Normalisierung des Güter- und Personenverkehrs zu ermöglichen und dabei israelische Sicherheitsinteressen durch internationale Beobachter und Unterstützung zu gewährleisten;
  • Nothilfe und Wiederaufbaumaßnahmen in Gaza bereitzustellen, aber nicht ohne auch Israels völkerrechtliche Verantwortung als Besatzungsmacht für den Wiederaufbau einzufordern;
  • die bereits anerkannte, im Juni eingeschworene palästinensische Einheitsregierung und ihre Regierungsgewalt über den Gazastreifen sowie Handlungsfähigkeit in den gesamten palästinensischen Gebieten inklusive Ostjerusalems mit Nachdruck zu stärken;
  • die Tötung von Zivilisten vor und während der Angriffe auf den Gazastreifen zu untersuchen, zu einer internationalen Untersuchung aktiv beizutragen und den Beitritt Palästinas zum Internationalen Strafgerichtshof zu unterstützen. Gleichzeitig die Zerstörung ziviler Infrastruktur (so wie die Bombardierung des einzigen Elektrizitätswerkes von Gaza, Kläranlagen, Krankenhäuser etc.), die  seit Jahren mit EU- und bundesdeutschen Geldern finanziert wird, zu untersuchen und Kompensation von Israel einzufordern;
  • die restriktiven deutschen Rüstungsexportbestimmungen auch im Nahen Osten auf alle Konfliktparteien anzuwenden sowie die militärische Zusammenarbeit mit Israel auf den Prüfstand zu stellen;
  • sich mit Nachdruck für ein Ende der israelischen Besatzung der palästinensischen Gebiete einzusetzen und für beide Seiten verbindliche, völkerrechtskonforme Vorschläge für eine Konfliktregelung zu machen.

19. August 2014

Die Liste der Erst- und weiterer UnterzeichnerInnen finden Sie hier.

Weitere UnterzeichnerInnen melden sich bitte per E-Mail an: gaza_deuexperten@mail.de

Hier geht es zum (original) Offenen Brief.

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MH17: Unkontrollierbare Proxies und die Tragödie des Irrtums

Es ist eine furchtbare Katastrophe: der Abschuss der Passagiermaschine MH17 von Malaysia Airlines über der Ostukraine. 298 Menschen fanden bei dem Unglück den Tod – Wissenschaftler, Lehrer, Eltern und Kinder. Die Trauer ist global, und auch das Entsetzen: Wie konnte so etwas passieren?

Die Verantwortung für die Zerstörung der Passagiermaschine tragen – hier herrscht derzeit weitgehendes Einvernehmen – pro-russische Separatisten; sie sollen das Flugzeug mit Hilfe einer russischen Boden-Luft-Rakete vom Typ Buk, auch bekannt als SA-11, abgeschossen haben.

Bislang ist dieses Wort nicht gefallen – doch sind die 298 Toten nicht auch Kollateralschäden in einem zunehmend unversöhnlicher und brutaler geführten Konflikt? Wie die bis dato mehr als 500 getöteten Palästinenser und die zwei israelishen Zivilisten?

Der Druck auf Russlands Präsidenten Wladimir Putin wächst, gilt er doch zumindest als mitverantwortlich für den Abschuss der MH17, oder wie es der US-Nachrichtensender CNN formulierte: „Does President Vladimir Putin have blood on his hands?
Der US-Abgeordneten Peter King antwortete: „Putin is responsible. If you want to use the expression blood on his hands, I would say yes.

Ähnlich sieht es auch Max Boot, Analyst beim Council on Foreign Relations, einer Washingtoner Denkfabrik: „Putin is nevertheless ultimately responsible. If you hand a bazooka to a hyperactive teenager and he destroys your neighbor’s house, the person providing the weapon is just as culpable as the one firing it.

US-Außenminister John Kerry erklärte: „Das ist der Augenblick der Wahrheit für Putin.“ Sein britischer Amtskollege Philipp Hammond wurde noch deutlicher: „Wenn sie [Putin] weiterhin erlauben, dass Waffen über die Grenze gebracht werden, wenn sie die Rebellen weiter wie bisher unterstützen, dann wird es härtere und länger andauernde Konsequenzen für die russische Wirtschaft geben.

Unkontrollierbare Proxies

Die USA und Europa haben in einer ersten Reaktion die Sanktionen gegen Russland weiter verschärft; US-Präsident Barack Obama und auch Bundeskanzlerin Angela Merkel fordern ein schnelles und entschiedenes Eingreifen Putins: er solle seinen Einfluss auf die Separatisten nutzen und den Konflikt zwischen Kiew und den Rebellen deeskalieren.

Schließlich, so die nachvollziehbare Logik, unterstützt Moskau die pro-russischen Separatisten auch mit Waffen – und könne damit seinen Einfluss geltend machen und die Rebellen steuern, kontrollieren…

So verständlich diese Forderung ist, so wenig realistisch ist sie doch zugleich. Denn wenn uns der Abschuss von MH17 etwas in aller Brutalität vor Augen führt, dann dass Staaten ihre Proxies, ihre Stellvertreter nicht kontrollieren können.

Eine Erfahrung, die die USA und Europa in der vergangenen Jahren wiederholt gemacht haben. So haben wir nach 2001 lernen müssen, dass sich technische Ausrüstung und taktisches Know-how, das die USA den Mujaheddin im Kampf gegen die Rote Armee in Afghanistan zur Verfügung gestellt habe, auch gegen die eigenen Einsatzkräfte der NATO richten können. Und in Syrien mussten wir erfahren, dass die Unterstützung der Gegner von Baschar al-Assad auch bedeuten kann, die eigenen Gegner aufzurüsten.

Und in keinem dieser Krisenszenarien hatten/haben die USA oder Europa nennenswerten Einfluss auf ihre Proxies

Die Tragödie des Irrtums

Bemerkenswert ist, wer sich derzeit mit klaren, offenen Schuldzuweisungen Richtung Moskau zurück hält: Barack Obama. Was man ihm als Schwäche auslegen kann, oder, richtiger, als Gespür für Timing und Geschichte…

In Iran wird man dieser Tage die Reaktion Washingtons auf den Abschuss von MH17 sehr genau beobachten, wiederholt sich hier doch ein Teil unrühmlicher US-Geschichte: Am 3. Juli 1988 war der Linienflug IR655 der Iran Air vom US-Kriegsschiff USS Vincennes über dem Persischen Golf abgeschossen worden; 290 Menschen fanden den Tod.

In einer ersten Reaktion verurteilte Teheran den Abschuss der Maschine als „babarischen Akt„; den Vorwurf des damaligen iranischen Außenminister Ali-Akbar Welajati, dass der Angriff durch die USS Vincennes „vorsätzlich“ (premeditated) erfolgt sei, wies der damalige US-Vize-Präsident George H. W. Bush als „beleidigend und absurd“ (offensive and absurd) zurück. Vielmehr verteidigte Bush die Besatzung des Kriegsschiffs und erklärte, sie habe angemessen gehandelt. Auch lehnte Bush es ab, sich im Namen der USA für den Abschuss bei den Hinterbliebenen zu entschuldigen.

Der Vorfall ereignete sich während der Iran-Irak-Kriegs, und damit zu einer Zeit, als der Westen und vor allem die USA in Iraks Diktator Saddam Hussein noch einen engen Verbündeten sahen. Zum Schutz der Öltransporte hatten die USA die 5. Flotte in den Persischen Golf verlegt.

Zu dem Unglück kam es, wie man heute weiß, durch menschliches Versagen. So wurde IR655 zwar von der elektronischen Freund-Feind-Erkennung (identification friend or foe (IFF)) der USS Vincennes als Zivilflugzeug erkannt. Jedoch identifizierte das neuartige Aegis-Kampfsystem an Bord des Schiffs die Passagiermaschine als eine F-14 Tomcat, also als ein Kampfflugzeug. Der Kapitän der USS Vincennes entschied sich, der Meldung des Aegis-Systems zu glauben – und befahl den Abschuss von IR655.

Anders als beim Unglück über der Ostukraine, wo nach derzeitigem Kenntnisstand schlecht oder gar nicht ausgebildete Rebellen den Abschuss ausgelöst haben, haben den Abschuss über dem Persischen Golf hochqualifizierte Soldaten zu verantworten.
Vize-Präsident Bush hat das Unglück 1988 auch damit erklärt, dass sich die Besatzung der USS Vincennes in einem Kampfeinsatz befand; die Rebellen in der Ostukraine könnten das gleiche sagen – und damit doch nichts erklären, nichts entschuldigen.

Irren ist menschlich; nirgends aber ist der Irrtum von Menschen so tragisch wie in Zeiten von Konflikten und Kriegen.

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